«Sorry, no Laptops on this table». Mit verblasster Schrift haftet der Aufkleber subtil in der linken Ecke des Holztisches. Obwohl ich das bewusste Pausemachen absolut unterstütze, verspüre ich, wie die sechs Worte Unbehagen in mir auslösen. Ist es die stumme und zugleich laute Vorschrift, die mich einengt oder die Absicht des Kaffees, so mehr Umsatz zu erzielen? Wahrscheinlich beides. Anstelle des Laptops lege ich stolz meine frisch ausgeliehenen Bücher der Uni Wien auf den kleinen Tisch. Bewusst überdecke ich damit den provozierenden Kleber. Der Titel meiner zuoberst liegenden Lektüre «Die Welt verändern lernen» vermischt sich mit dem Geschmack von geröstetem Kaffee und utopischen Freiheitsgedanken. Sie stimmen mich optimistischer. Die lebendige Atmosphäre des Kaffees treiben meine Motivation an. Vermeintlich langweilige Beats werden von den Mitarbeitenden weggedrückt, unterschiedliche Genres tanzen so schnell an mir vorbei, dass ich ihnen nicht mehr folgen kann. Am Rande meines Blickfelds trampeln bunte Turnschuhe umher, trinken Oatcappucinos, wippen im Takt und tauschen sich aus. Obwohl ich mich vor einigen Minuten nach Stimmen gesehnt hatte, bedrängen sie nun meinen Fokus, an dem ich angestrengt festzuhalten versuche. «Vielleicht geht's mit einem zweiten Kaffee besser», also bestelle ich nochmals einen. Auf Englisch, denn so ist es für das Personal einfacher, um Locals, Reisende oder Expads willkommenzuheissen. Ich balanciere Kaffee und Wasser auf einem viel zu kleinen Tablar zu meinem Platz, als ich drei weiße mainstream Sneakers am Tisch neben mir entdecke. Alle drei tragen Kapuzenpullover und helle Hosen.

«Sick!», wirft Nike in die Runde.

Die anderen zwei nicken zustimmend.

«Seit wann bist du zurück?», fragt Adidas.

«Vorgestern bin ich in Berlin gelandet.», antwortet Reebok.

Ihr Dialekt verrät mir ihre deutsche Herkunft, was eine Verbundenheit mit ihnen in mir auslöst.

«Die Sonne fehlt mir jetzt schon, ey..»

Wir vier blicken gleichzeitig zum Fenster, dicke kalte Regentropfen prallen an die hohe Scheibe.

«Warum? Ist es in San Diego jetzt schöner?», möchte Adidas wissen.

«Fix, Alter. Das Wetter war einfach immer sick gut. Es war die beste Zeit ever. Wir waren immer am Strand, vor und nach der Uni.», Reebok hob beim Sprechen die Stimme und nahm damit mehr Raum ein.

«Sick», erlingt es wie aus einem Mund von Nike und Adidas.

Reebok ist also seit kurzem zurück von seinem Auslandsemester. Ich hätte nicht gedacht, nebst gleicher Muttersprache etwas mit einem der Sneaker gemein zu haben. Neugierde breitet sich in mir aus.

«Hast du viele Amis kennengelernt?», während Adidas spricht, richtet er sein schwarzes Cap zurecht.

«An der Uni habe ich einige getroffen, die haben mich aber geghostet.. Drum hab ich mehr mit Deutschen gefeiert, bei denen wusste ich, woran ich bin. Jungs, die Raves waren abartig.. soooo sick!!!!!»

Die ständige Wiederholung seines letzten Wortes, gefolgt von der nickenden Verdoppelung seiner Gegenüber hüllen mich ein, lösen eine Schicht von mir, langsam und schmerzvoll. Mit ihr verfällt auch die Neugierde. Ich blicke zu den breitbeinigen Sneakers, in ihren funkelnden Augen erkenne ich keine Anteilnahme meiner Gefühle, im Gegenteil. Doch ich verharre an Ort und Stelle, ich möchte nicht wegen ihnen meinen Platz räumen.

«Also gab es noch andere aus Europa, die dort Erasmus machten?»

«Ja, abartig viele. Einige waren so richtige rich Kids, Alter, die haben immer wieder eine Runde Bier bezahlt. Vor allem die Italiener.»

«*innen», schob ich gedanklich genervt nach.

«Die habe ich immer an den Poloshirts erkannt, so gaaay!!»

Während sich die drei lauthals in Gelächter stürzen, wurde mir ein weiterer Teil meiner Selbst gewaltvoll entfernt. Obwohl ich mich direkt neben der Gruppe befand, könnte die Distanz zwischen uns nicht grösser sein. Demonstrativ wende ich den Kopf in ihre entgegengesetzte Richtung, dem Prasseln des Regens entgegen. Da blicke ich direkt in zusammengekniffene aber auffordernde Augen, die in einem Paar schwarzen abgewetzten Stiefel stecken.

Unmittelbar fühlte ich mich ertappt, als hätte ich gerade ein schweres Verbrechen begangen. In meiner Hand befindet sich noch immer die schwere Lektüre, in seiner ein leicht von der Nässe gewelltes Straßenmagazin. Beschämt richte ich den Blick auf die zwei leer getrunkenen Kaffeetassen vor mir. Wie lange steht er schon dort? Ich weiß es nicht.

«Sick!», Reeboks Stimme dringt zu mir. Sie nehmen die Stiefel im Regen nicht wahr, natürlich nicht. Der einzige Status, den sie kümmert, ist wohl jener auf den sozialen Medien. Meine Position jedoch, eingeengt zwischen den teuren Sneakers und den triefenden Stiefel, ist für mich ohrenbetäubend laut. Mit zitternden Händen stopfe ich die Bücher in meine Tasche.

«Bye!», jauchzt mir die Person hinter der Kaffeebar übertrieben freundlich nach.

Draußen drehe ich mich nach links, im Wissen, damit einen Umweg durch die Kälte gehen zu müssen. Doch ich schaffe es nicht, den schwarzen Stiefel ohne die Scheibe zwischen uns zu begegnen.

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